Praxismodell: „Unsere Substitutionspraxis im Drogenhilfezentrum hat sich bewährt!“

Die Zahl der Substitutionsärzte wird in den kommenden Jahren eher sinken als steigen. Längst wird nach Lösungen gesucht, um mit dem Mangel umzugehen und die Patienten gut zu erreichen und zu versorgen. Eine Idee: Substitution und Drogenhilfe sollen enger zusammenwachsen. Doch wie kann das gelingen? Das weiß der Allgemeinmediziner Stephan Hübener, der 2005 eine Praxis für Substitutionstherapie im Bielefelder Drogenhilfezentrum (DHZ, voge.ly/vglQpbj ) aufbaute und bis heute betreibt. Ursula Katthöfer ( textwiese.com ) fragte nach seinen Erfahrungen.

Wie kann man sich Ihre Praxis vorstellen?

Herzstück ist der Vergaberaum für die Substitute. Ansonsten ist es eine normale Arztpraxis mit Behandlungsraum, Labor und Wartezimmer. Zum Team gehören vier MFAs, die in Teilzeit tätig sind, eine weitere MFA zur Aushilfe sowie zwei ärztliche Kollegen. Es liegen mehrsprachige Flyer aus, z. B. mit Informationen zu Hepatitis C und dass diese Erkrankung gut behandelbar ist.

Wie ist die Zusammenarbeit mit der Drogenberatung?

Sie übernimmt z. B. die PSB. Wenn die Praxis geöffnet ist, ist auch die PSB vor Ort. Außerdem übernimmt die Drogenberatung das Clearing vor Substitutionsbeginn. Die Sozialarbeitenden schauen, wo die Patienten am besten aufgehoben sind: In Praxen der niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen, in den psychiatrischen oder somatischen Abteilungen einer Bielefelder Klinik oder eben in unserer niedrigschwelligen Praxis. Wir nehmen unsere Patienten häufig direkt aus der Szene kommend bei uns auf.

Wo liegen die Vorteile für die opioidabhängigen Menschen?

Der Riesenvorteil sind ganz kurze Wege. Gegenüber des Behandlungszimmers liegt das PSB-Büro, das sind nur wenige Schritte. Kaum jemand geht „verloren“. Probleme können häufig direkt geklärt werden. Im Rahmen der Substitution führen wir regelmäßige Laborkontrollen durch und behandeln viele Patienten mit Hepatitis C direkt bei uns in der Praxis. Ihre Medikamente erhalten sie häufig mit dem Substitut im Vergaberaum. Das läuft total gut. Wenn ich diese Menschen zum Gastroenterologen schicken würde, würden nur 50 Prozent von ihnen dort ankommen. Da eine gastroenterologische Praxis nicht auf Opiatabhängige eingestellt ist, würden viele die Behandlung abbrechen.

Wie nutzen Ihre Patienten das DHZ?

Im DHZ gibt es die Möglichkeit zu Frühstück, Mittag- und Abendessen. Die Menschen können sich beraten lassen, duschen oder Wäsche waschen. Die Nähe zum Drogenkonsumraum ist für sie ein weiterer Vorteil. Die meisten meiner Patienten haben Beikonsum. Dann ist es gut, wenn der Konsum abgesichert stattfinden kann. In der Vergangenheit gab es auch immer wieder Arbeitsprojekte in der Natur, diese wurden sehr gern angenommen.

Stichwort Beikonsum. Ist eine Substitutionspraxis in der Nähe eines Drogenkonsumraums auch eine Anerkennung der Realität?

Ja. Es ist glücklicherweise in NRW nicht so, dass die Substitution im Fall von Beikonsum abgebrochen werden muss. Auch stabil Substituierte haben hin und wieder Beikonsum. Ich möchte im Laufe der Behandlung sehen, ob jemand sich stabil entwickelt. Hat jemand Beikonsum, ist immer die Frage, ob der Konsum problematisch ist.

Problematisch ist, wenn Substituierte keinen Beikonsum haben möchten, aber durch die Szene getriggert werden.

Das ist genau der Punkt, der mich dazu bewogen hat, für unsere Praxis einen zweiten Standort für stabile und ausstiegsorientierte Personen zu eröffnen. In Bielefeld leben etwa 2.500 drogenabhängige Menschen, von denen etwa 750 substituiert sind. Ich behandele davon etwa 320 Patienten. Ein knappes Drittel davon kommt an den zweiten Standort, er hat sich sehr bewährt. Wir müssen allerdings immer genau hingucken, nachdem wir jemanden aus der niedrigschwelligen Praxis im DHZ an den zweiten Standort übernommen haben. Manche müssen zurück in die Niedrigschwelligkeit. Denn es triggert stabile Substituierte, wenn jemand intoxikiert in der Praxis auftaucht.

Dass es nicht passt, merken diejenigen auch selbst. Natürlich gibt es darum Auseinandersetzungen. Das ist meine tägliche Arbeit.

Auseinandersetzungen wie diese haben viele Substitutionsmediziner. Aber was hat Sie persönlich bewogen, mit der Praxis in ein DHZ zu gehen?

Ich habe schon vor der Eröffnung der Praxis mit der Drogenberatung zusammengearbeitet. Damals habe ich mit einem halben Stellenanteil als Arzt im evangelischen Klinikum Bethel u. a. drogenabhängige und HIV-infizierte Menschen behandelt. Die andere Hälfte der Zeit arbeitete ich im Drogenhilfezentrum. Die Drogenberatung wünschte sich Substitution, ich wollte substituieren. Nach meiner Niederlassung als Allgemeinmediziner habe ich in Zusammenarbeit mit der Drogenberatung die Substitutionspraxis im DHZ gegründet.

Ihr Beispiel soll Schule machen, um eine gute Versorgung opioidabhängiger Menschen zu gewährleisten.

Ich halte unser Modell in Bielefeld für ausgesprochen gelungen. Es ist sehr viel wert, dass die zukünftig zu Substituierenden bekannt sind und dass die Sozialarbeitenden wissen, wie die Drogenabhängigen drauf sind.